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1) Die wirtschaftliche und soziokulturelle Situation der Fischerei

Fakten

[In der Rubrik 'Fakten' werden Aussagen, Präsentationen und Grafiken der Experten gesammelt und weitere Quellen (Gutachten, Studien...) bereitgestellt.]


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Argumente

[In der Rubrik 'Argumente' sind die Aussagen von Teilnehmnden des Dialogforums gesammelt. Dies sind die Probleme, Lösungen, Bedenken und Informationen, die die Teilnehmenden während der Veranstaltungen geäußert oder selbst in das Wiki eingestellt haben]


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Probleme

  • Die ökonomische Seite für die Fischerei stimmt nicht mehr. Seit 5 Jahren geht der Fangertrag der Berufsfischer jedes Jahr im Sturzflug nach unten. Der Berufsstand steht mit dem Rücken zur Wand – die schnellen Veränderungen führen zu einem wirtschaftlichen Desaster. Die Fischerei lebt von der Substanz, hat keine verfügbaren Mittel mehr (Investitionsstau).

  • Bis ein Phosphatmanagement beschlossen wird und bis es dann umgesetzt wird und wirkt – das dauert viele Jahre. Wir brauchen kurzfristigen Lösungen.

  • Soziale Wirkung: Fisch als Nahrungsmittel nicht mehr verfügbar.

  • Mit dem Flugzeug importierter Fisch ist nicht nachhaltig.

Lösungsvorschläge

  • Vielleicht braucht es vorübergehend finanzielle Entschädigungen, weil der heutige Zustand des Sees gesellschaftlich gewünscht ist und alle Maßnahmen Zeit benötigen, bis sie wirken.

  • Könnte es eine finanzielle Abgeltung der Fischer für ihre landeskulturellen Leistungen geben?

  • EU-Fischereifonds ermöglicht Investitionshilfen und die Förderung von Aquakulturen. Möglicherweise braucht es auch ein Landes- oder Bundesprogramm (z.B. Fischereipatente aufkaufen).

  • Aus ethischen Gründen eine möglichst große Selbstversorgung anstreben.

  • Aus Sicht der Nachhaltigkeit (C O2 -Bilanz) müssen wir über Wildfischerei versus Aquakultur sprechen, um Importe zu ersetzen.

  • Netzgehege im Bodensee für Aquakulturen.

  • Aquaponik auf der Reichenau.

Bedenken

  • Direktzahlungen an die Fischerei müssen EU-konform sein. Über EU-Programme gibt es keine Möglichkeit, z.B. Stilllegungen zu fördern, da sind Programme der Länder oder des Bundes notwendig. Wir haben verschiedene Zuständigkeiten und Haushalte rings um den See. Fischer dürfen maximale 1/3 der Ware zukaufen, sonst fallen sie unter das Gewerberecht.

  • Heutzutage geht es sowieso nicht ohne den Ex-/Import von Lebensmitteln.

  • Die Kosten für verschiedene Formen der Aquakultur sind hoch.

  • Aquakultur muss von der IGKB offen diskutiert werden.

  • Aquakultur nur in einer Größenordnung, dass es den weggebrochenen Fang ersetzt (ca. 600 t/Jahr).

  • Bei Aquakultur sollten die Fischer den Zugriff auf die Verwertung haben.

  • Ausbreitung von Krankheiten als Risiko bei der Aquakultur.

  • Fischer sind Fischer und keine Züchter, lehnen die Aquakultur aber nicht generell ab.

  • Wollen die Kunden Produkte aus Aquakultur?

  • Können die Fischer das als selbständige Unternehmer machen? Jedem Fischer seine eigene Aquakultur dürfte aus finanziellen Gründen (Investition, Betriebskosten) schwierig werden.

  • Ist ein realistischer Preis für Fische aus Aquakultur möglich? Viele Gastronomen sind vermutlich nicht bereit, das zu bezahlen.

Informationen der Teilnehmenden

  • 2003 gab es 1.000 t Ertrag bei 12 mg/m Phosphor. 2014 gab es nur noch 241 t Ertrag. Seit 2012 hat sich der Phosphorgehalt halbiert und der Fischertrag geviertelt. 2015 gab es ein historisches Tief ohne Vorbild bei den Fangerträgen. Das Zehnjahres-Mittel beim Fangertrag ist von 10 t auf 1,5 t gesunken.

  • Die Fischerei ist geschrumpft, von 400 Fischern sind jetzt vielleicht noch 70 Fischer aktiv. Die Fischerei hat sich von der genossenschaftlichen Organisation zur einzelbetrieblichen Selbstvermarktung entwickelt (mit Veredelung und zusätzlichen Nischenprodukten).

  • Der Fischertrag insgesamt (was herausgeholt wurde) ist abhängig von vielen Faktoren: Netze, andere Artenzusammensetzung. Auch Eingriffe zur Erhöhung des Fangertrags in der Vergangenheit haben einen Einfluss.

  • Es gibt im Bodensee eine Felchenart, die sich für Aquakultur zu eignen scheint (Netzgehege mit ca 15 m Durchmessern, der Nährstoffgehalt an P würde nur um etwa 1 % steigen).

  • Der Naturschutz ist vermutlich eher mit Aquakultur einverstanden als mit einem Phosphatmanagement.


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Fragen

[Die Fragen sind das Ergebnis des ersten Dialogforums. Sie sind die Grundlage für den Faktencheck. Weitere Fragen wurden von den Teilnehmenden ergänzt]

Ist die heutige Fischerei nachhaltig und welche Leistungen ließen sich kompensieren? (6 Pkte.)

Wie kann Aquakultur am Bodensee umgesetzt werden? Welche Genehmigungen werden benötigt? (6 Pkte.)

In wie weit hat die Verringerung der Maschenweite Einfluss auf die Erträge? (4 Pkte.)

Welche soziokulturelle und ökonomische Bedeutung hat die Bodenseefischerei? (3 Pkte.)

Welchen Aufwand und welche Kosten gibt es für ein regelmäßiges Fischmonitoring? (1 Pkt.)

Wie könnte ein Strukturprogramm für Fischerei am Bodensee aussehen? (0 Pkte.)

Weitere Fragen:

  • Wie kann man den Fischern finanziell helfen?

  • Hätte man 1950 mit heutigen Fischerei-Methoden ebenso viel Fisch gefangen?

  • Wie viele Fische werden am See gefangen und am See gegessen?

  • Wie kann man Fische am Bodensee erzeugen, mit dem Wasser und der Genetik aus dem Bodensee?

  • Kann sich der Gewässerschutz Aquakultur-Anlagen im Bodensee vorstellen? (In BaWü gibt es dazu Vorarbeiten).

  • Welche Investitionen und Organisationsformen kann man sich bei verschiedenen Varianten der Aquakultur vorstellen? Welche Pilotversuche wären notwendig?

  • Welche organisatorischen und rechtlichen Möglichkeiten haben die Fischer in Bezug auf die Aquakultur?


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Konsensformulierungen

[Als Ergebnis des zweiten und dritten Dialogforums zeigen die Konsensformulierungen, in welchen Punkten die verschiedenen Nutzergruppen des Bodensees übereinstimmen.]

Nachhaltigkeit der Fischerei am Bodensee

Ist die heutige Fischerei nachhaltig und welche Leistungen ließen sich kompensieren?

Wildfang aus dem Bodensee ist aus Sicht des Energieverbrauchs nachhaltiger als importierter Fisch (und auch nachhaltiger als Fisch aus Aquakultur).

Von den Fangmengen her wird die Fischerei am Bodensee bestandsgerecht betrieben.

Die wirtschaftliche Situation der Fischerei

Wie ist die soziokulturelle und wirtschaftliche Situation der Berufsfischerei heute?

Bis vor wenigen Jahren hatte der Anteil der Binnenfischerei am Bodensee mengenmäßig eine wichtige Bedeutung für die Deckung des lokalen Bedarfs an Bodensee-typischen Fischen. Auch für den Tourismus spielt die Bodenseefischerei als Werbeträger eine wichtige Rolle.

Berufsfischerei im Haupterwerb bedeutet, etwa 60-80% des Familieneinkommens sollten aus der Fischerei erwirtschaftet werden, das sind ca. 6,5 t Fang pro Patent und ca. 50-80.000 € Umsatz. Das ist derzeit am Bodensee für die Berufsfischer nicht möglich, der momentan verwertbare Fangertrag ist beim gegenwärtigen Zustand stark verringert (aktuell ca. 2,5 t pro Patent).

Die IBKF orientiert die Zahl der Patente an den zu erwartenden Fangmengen im Jahr 2020 (ca. 80 Patente = ca. 500 t). Dies entspricht nicht mehr der gegenwärtigen Situation.

2012 konnte nach einer Marktstudie noch gut die Hälfte des Felchenbedarfs aus Wildfang vom Bodensee abgedeckt werden. Inzwischen gehen die Fänge zurück, während der Bedarf eher zunimmt. Exakte statistische Daten fehlen jedoch.

Darüber hinaus gibt es den soziokulturellen Wert der Berufs- und Angelfischerei am Bodensee, der nicht so leicht in Zahlen gefasst werden kann, der jedoch erheblich ist. Hier wäre eine umfassende Wertschöpfungsstudie wünschenswert.

In wie weit hat die Verringerung der Maschenweite Einfluss auf die Erträge?

Bisher konnte der Fischertrag und der Fischbestand unter anderem mit der Maschenweite der Netze nachhaltig reguliert werden. Für eine weitere Verringerung der Maschenweite gibt es in der aktuellen Situation keinen Konsens. Wir haben keinen Überbestand an jungen oder kleinwüchsigen Felchen, sondern einen Zuwachs an anderen Fischarten (Konkurrenz zwischen Beständen).

Hätte man 1950 mit heutigen Fischerei-Methoden ebenso viel Fisch gefangen wie heute?

Die Frage ist für das aktuelle Problem der Ertragsfähigkeit des Bodensees nicht relevant.

Aquakultur

Wie kann man Fische am Bodensee erzeugen, mit dem Wasser und der Genetik aus dem Bodensee?

Mit Aquakultur lassen sich genetisch „echte“ Bodenseefelchen züchten.

Wie kann Aquakultur am Bodensee umgesetzt werden (fischereiökologisch, betriebswirtschaftlich)?

Eine Technische / ökonomische Bewertung durch externe Experten empfiehlt Netzgehege im See oder geschlossene Anlagen an Land. Die Zucht der Jungfische benötigt warmes Wasser (Wärmetauscher), Reinigung des Ablaufwassers, danach 10 – 12 Netzgehege im See. Produktionskosten pro kg Felchen 5,5-6,5 €. Kreislaufanlagen an Land sind wesentlich teurer, die Produktionskosten steigen auf 6-7 €/ kg.

Welche Genehmigungen werden benötigt?

Derzeit sind nach den Bodensee-Richtlinien Netzgehege im Bodensee nur zur Nachzucht von Fischen aus dem See zugelassen. Für eine Überarbeitung der Richtlinie wird ein Antrag seitens des Investors benötigt.

Kann sich der Gewässerschutz Aquakultur-Anlagen im Bodensee vorstellen? Der Phosphoreintrag in den See liegt bei etwa 0,2 – 0,3% zusätzlichen P. Der Gewässerschutz wird die Frage aufgeschlossen diskutieren.

Welche Investitionen und Organisationsformen kann man sich bei verschiedenen Varianten der Aquakultur vorstellen?

Für die Setzlingsaufzucht sind eine Investition 1,1 – 1,5 Mio € und 3 Arbeitskräfte notwendig. Für Netzgehege ist die geschätzte Investition mind. 1,5 Mio € und drei Arbeitskräfte. Deutlich kleinere Anlagen rechnen sich wirtschaftlich nicht, Anlagen an Land sind deutlich teurer (ca. 6,5 Mio €).

Welche Pilotversuche wären notwendig?

Fischbrutanstalt umbauen zur Erzeugung von Satzfischen, Netzgehege unter Realbedingungen prüfen.

Welche organisatorischen und rechtlichen Möglichkeiten haben die Fischer in Bezug auf die Aquakultur?

Möglich sind beispielsweise genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Berufsfischern (zentral produzieren, dezentral vermarkten). Die Aquakultur sollte in die Strukturen der Berufsfischer eingebunden sein.

Sonstiges

Die Größenordnung sollte im Moment in etwa der fehlenden Fangmenge entsprechen (ca. 650 t / Jahr). Das Thema war Gegenstand der Koalitionsvereinbarung des Landes Baden-Württemberg.

Möglichkeiten zur Förderung der Berufsfischerei

Wie könnte ein Strukturprogramm für Fischerei am Bodensee aussehen? Aus Sicht der EU-Beihilfeverordnung sind die Möglichkeiten begrenzt. Aus Sicht der Politik müssen mit Förderungen auch Strukturveränderungen verbunden sein (z.B. Aquakultur, Verarbeitungstiefe, Investitionshilfen, etc.). Dauerhafte Entschädigungsleistungen für fehlende Einkommen sind nicht denkbar. In der Schweiz wird dies derzeit noch kaum diskutiert.